Biedermeier in Haldensleben
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Beim Betrachten der kommunalen Gebäude, Kirchen und Parkanlagen Haldenslebens fällt das Klassizistische und Neugotische auf. Mit etwas Augenzwinkern lässt sich dieses äußerlich Unterschiedliche leicht unter dem Begriff Biedermeierzeit zusammenfassen. Dies um so besser, wenn man hierunter das gesamte 19. Jahrhundert vom Ende des ersten bis zum Anfang des zweiten Deutschen Kaiserreiches vereinnahmt. Wer das kaiserlose und zudem rosarote Biedermeier in Haldensleben erkunden möchte, sollte die beiden historischen Siedlungskerne Alt- und Neuhaldensleben gesondert betrachten.


   Althaldensleben

Klostergut
Nach der Aufhebung des Zisterzienserklosters (PDF -
128 KB) Althaldensleben wird 1810 der Industrie-
pionier Johann Gottlob Nathusius (PDF - 23 KB) Eigentümer des Klostergutes. Hier erwarb sich der Unternehmer in der Rübenzuckerproduktion Verdienste und begründete die Keramikindustrie in Haldensleben. Die Wurzeln des Maschinenbaus im Raum Magdeburg liegen dagegen im 1811 von Nathusius erworbenem Rittergut Hundisburg. Für seine zukunftsweisenden Aktivitäten nutze er die überkommenen Baulichkeiten und fügte nur
einiges, wie etwa die 1815 erbaute Steingut-
und Porzellanmanufaktur, hinzu. Ansonsten findet sich Biedermeierzeitliches auf dem Klostergut nur im Detail. Hierzu gehört der 1812 auf die Hofseite der Klausur aufgesetzte Giebel und letztlich fußt auch der rosarote Farbanstrich des heutigen Berufsschul-
zentrums auf biedermeierlichen Vorlieben.

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Landschaftspark
Neben seinem Agrar-Industrie-Komplex begründete Johann Gottlob Nathusius 1820 den Landschaftspark Althaldensleben-Hundisburg. Vollendet durch seine Nachkommen ist dieser Gartentraum bis heute lebendig und wird wie auch der Barockgarten Hundisburg schrittweise rekonstruiert. Neben zahlreichen fremdländischen Bäumen finden sich hier markante Blickpunkte wie die Rousseauinsel im Althaldensleber Parkteich und die Niedermühle unterhalb des Hundisburger Schlosses. Diese einstmalige Getreidemühle ließ Hermann von Nathusius 1843 nach englischem Vorbild im Landhausstil errichten. Der 1824 in der einst bedeutenden Kunst- und Handelsgärtnerei von Nathusius gezüchtete Nathusius-Taubenapfel ist rosarot und findet sich heute wieder in den Obstquartieren des Parks.

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Simultankirche
Bereits die alte Klosterkirche vereinigte, nur durch eine Mauer getrennt, katholische und evangelische Christen unter einem Dach. Nach möglicherweise von Karl Friedrich Schinkel überarbeiteten Plänen des Bauinspektors Lietzmann entstand bis 1830 eine neue klassizistische Doppelkirche in Althaldensleben. Sie besteht aus der katholischen Kirche St. Johannes Baptist und der evangelischen Lutherkirche mit einem dazwischen liegenden gemeinsamen Glockenturm. Von hier aus rufen die Glocken aus den Jahren 1617 und 1921 beide Konfessionen zum Gottesdienst. Leider wurden die Innenräume mehrfach umgestaltet, so dass die Ausstattung der Schinkelzeit nur fragmentarisch erhalten ist.

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Adlerplatz
Der Adlerplatz ist das historische Zentrum des einstmaligen Guts- und Fabrikdorfes Althaldensleben. Die umgebenden Gebäude sind von bescheidener Bauart und einzige Sehenswürdigkeit ist die zentrale Adlersäule. Zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig wurde bereits 1815 eine Holzsäule mit einem, die Flügel ausbreitenden, Adler errichtet. 1848 erfolgte dann die Erneuerung der Säule aus, seit der Biedermeierzeit in der Region beliebten, rosaroten Sandstein mit einem Adler aus Metallguss. Die die Jahreszahl der Einweihung am 15. Oktober 1848 tragende Säule besteht bis heute. Der zu DDR-Zeiten beseitigte Adler konnte 1993 durch eine Spende der Familie Nathusius erneuert werden.

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   Neuhaldensleben

St. Marienkirchturm
Nach Einsturz des alten Turmes der Marienkirche 1808 wurde 1812 noch zu Zeiten des Königreichs Westfalen der Grundstein für einen Neubau gelegt. Die Pläne des Distriktbaumeisters Weißhaupt lehnten sich an die Gestalt der Berliner Marienkirche an. Nach Verzögerungen durch die Befreiungskriege wurde der Turm 1821 fertig gestellt und erhielt zum Abschluss einen rosaroten Farbanstrich. Die damalige Wetterfahne in Form eines drehbaren preußischen Adlers schuf der Haldensleber Kunstschlosser Johann Gottlob Loock. 1985 durch ein Kreuz ersetzt, steht der besondere Vogel heute im Kirchenschiff. Von den vier 1818 gegossenen biedermeierzeitlichen Glocken haben nur zwei den deutschen Kriegspatriotismus überstanden. Der Kirchturm kann zu besonderen Anlässen bestiegen werden.

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Rathaus
Parallel zum Neubau des neugotischen Marienkirchturms erfolgten bis 1823 die ersten Schritte zur klassizistischen Umgestaltung des Haldensleber Rathauses. Bei späteren Baumaßnahmen, wie das Aufsetzen des Mittelgiebels 1880 und die Umgestaltung des Erdgeschosses 1913, erfuhr diese Gestaltungsidee eine Weiterentwicklung. Zum reinen Verwaltungsbau wurde das Rathaus erst durch den Ankauf des Ratskellers 1874 und der Ratsapotheke 1911. Durch Hinzuziehung weiterer historischer Gebäude erhielt die Stadtverwaltung bis 2001 ihre heutige Ausdehnung und mit dem Bürgerbüro eine Bürgernähe im doppelten Sinn. Die Schillerplakette an der Rathausfront führt wieder zurück in die Biedermeierzeit. Bereits 1859 vom Haldensleber Bildhauer Rudolf Uffrecht als Gipsmodell geschaffen, wurde sie 1905 in Bronze gegossen und am jetzigen Ort angebracht.

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Synagoge
Die als bauliche Hülle erhaltene Synagoge von Haldensleben ist ein frühes Beispiel für die seltene Rezeption gotisch-christlicher Formen im Synagogenbau. Mit Spitzbogenfenstern und rosarotem Farbanstrich orientiert sich die Architektur des 1822 entstandenen Fachwerkbaus offensichtlich am kurz zuvor fertig gestellten Marienkirchturm. Der 1907 von der inzwischen mitgliederschwachen jüdischen Gemeinde verkaufte Sakralbau wurde in der Folgezeit von der Neuapostolischen Kirchengemeinde Haldensleben genutzt. Seit 2002 ist die einstmalige Synagoge und Kirche Nebenstelle des Museums Haldensleben und wird schrittweise zum „Haus der anderen Nachbarn“ (PDF - 12 KB) umgestaltet.

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Jüdischer Friedhof
Schon bald nach der Gründung einer jüdischen Gemeinde 1808 wurde auf dem Trendelberg weit vor den Toren der Stadt der „Gute Ort“ angelegt. Zuletzt wurde hier 1933 Jenny Löwenstein bestattet. Danach schlossen die jetzt in Haldensleben herrschenden Nationalsozialisten den Friedhof und verwüsteten ihn mehrfach. Die alte Umfassungsmauer verschwand allerdings erst um 1955. Heute sind auf dem inzwischen instandgesetzten jüdischen Friedhof noch 55 Grabstellen kenntlich. Die meisten Grabsteine stammen aus dem 19. Jahrhundert, als die jüdische Gemeinde mit bis zu 95 Seelen am größten war.

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Museum Haldensleben
Das Gebäude, in dem sich seit 1910 auch das Museum Haldensleben befindet, wurde 1866 als Volksschule errichtet. Zusammen mit zwei angrenzenden Fachwerkhäusern bescheidenster Bauart bildet das heutige Museumsgrundstück ein kleines Freilichtmuseum des biedermeierzeitlichen Stadtlebens. Hierzu gehören auch Hühnerhof und Blumengärtchen. Die in den Handwerkerhäusern eingerichteten Werkstätten illustrieren das einstmalige Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten und ergänzen die Ausstellung im Haupthaus zur Kulturgeschichte der Biedermeierzeit.

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Stendaler Tor
Die längst funktionslos gewordenen Stadttore Haldenslebens erhielten zur Biedermeierzeit neue Zweckbestimmungen. So entstand 1850 neben dem Stendaler Torturm aus rosarotem Sandstein in mittelalterlichen Bauformen ein Gefängnisbau für das königliche Kreisgericht. Der Turm selbst wurde 1852 zum städtischen Polizeigefängnis ausgebaut. Verantwortlicher Architekt war der königliche Bauinspektor Carl Askan Stüler. Der ältere Bruder des berühmten Oberbaurats August Stüler war von 1841 bis zu seinem Tod 1862 in Neuhaldensleben ansässig.

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Hagentor
Das baufällig gewordene alte Hagentor wurde 1860 ganz abgebrochen und dafür 1862 eine neugotische Toranlage errichtet. Heute erinnert nur noch einer der beiden zinnenbekrönten Pfeiler an die einstmalige Burgenromantik am Stadteingang. Von dem ersten vor dem Hagentor errichteten Gebäuden bestehen noch das dreigeschossige Magazin der Haldensleber Garnison von 1794 und das Wohnhaus des Zimmermeisters Schultheß von 1849 (heute Haldensleber Bank).

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Bülstringer Turm
In der Biedermeierzeit führte der sonntägliche Spaziergang der Haldensleber durch das Bülstringer Tor zur Masche und zum 1824 auf dem Papenberg angelegten Lustholz. Auch die seit der ersten Ohreregulierung 1783 trocken liegenden Stadtgräben wurden in Gärten und Grünanlagen verwandelt. Der Torturm erhielt 1858 ein Uhrengeschoss mit neugotischem Zinnenkranz, der späterhin durch das bestehende Zeltdach ersetzt wurde.

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Pfändegraben
Wahrscheinlich nach dem Vorbild des Fürstenwalls in Magdeburg legten um 1820 die Haldensleber auf dem Wall rechts vor dem Bülstringer Tor die erste öffentliche Promenade der Stadt an. Zwischen dieser Lindenallee und der Stadtmauer wurde dann bis 1871 das Hospital St. Spiritus in spätklassizistischen Architekturformen errichtet (heute Kreis- und Stadtarchiv / PDF - 60 KB) und Ende des 19. Jahrhunderts kamen historistische Villen mit Vorgärten hinzu. Dieses reizvolle Ensemble aus Architektur und Gartenkunst hat links des Bülstringer Tores ein Gegenstück.

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Alter Friedhof
Der seit 1783 auf dem Stadtwall bestehende Alte Friedhof war bis zur Anlage des jetzigen Friedhofes an der Magdeburger Straße 1840 in Benutzung. 1869 wurde er zur öffentlichen Parkanlage mit dem heute noch erhaltenen Baumbestand umgestaltet. Auf dem Teilstück an der Bülstringer Straße entstand bis 1876 ein spätklassizistischer Gymnasiumsbau mit einem regelmäßigen Ziergarten vor der Eingangsfront (heute Otto-Boye-Grundschule). Der historische Grüngürtel der Stadt setzt sich über die Hagenstraße bis zur Bahnhofstraße fort, wo er auf dem verwilderten Park einer ruinösen Fabrikantenvilla stößt.

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